Optimal glücklich

Ein Thema, das gleich mehrfach hier für das Blog gewünscht wurde, ist: Kannst du etwas zum Selbstoptimierungs-Wahn sagen?

Oft mit einem Unterton von: Warum mussten all die Management- BWL- und Coaching-Leute bloß das Spirituelle für sich entdecken? Könnt ihr uns nicht einfach, wie früher, abschätzig als Eso-Spinner betrachten und in Ruhe lassen? Warum müsst ihr das, was uns heilig ist, für euren Cashflow ausbeuten und neuerdings auch „Sinn“ verkaufen?

Ich kann die Emotionen dahinter gut verstehen. Und möchte nochmal kurz eine Lanze für die Coaches brechen, denn ich weiß, dass viele Coaches, die eine gute, ehrliche Arbeit machen, selbst den Kopf schütteln – und zu Recht nicht damit in einen Topf geworfen werden möchten.

Wir müssen das differenziert betrachten, schließlich arbeiten auch nicht alle Kartenlegerinnen wie die Exemplare, die bei Kalkofes Mattscheibe auf´s Korn genommen werden.

Bei vielen Leuten spüre ich da so eine Ambivalenz. Sie sehen diese schöne, neue Welt und wissen, dass das mindestens in Teilen Fake sein muss. Ich meine, wer hat schon wirklich so ein perfektes Leben? Und obwohl sie große Fragezeichen haben, es nagt eben doch an ihnen.

Meine Mutter hatte diesen klugen Spruch: Der Vergleich ist vom Teufel gemacht. Das fasst es ganz gut zusammen. Diese Leute sehen immer so blendend aus und sie haben Geld und Glück und Sinn… Selbst wenn einem bewusst ist, dass sie mindestens geschönt sind, sind Bilder mächtig.

Es wird schließlich niemand gezwungen, sich mit dem Thema Selbstoptimierung auseinanderzusetzen. Man kann den Tag mit hundert anderen Sachen vergnüglicher verbringen. Wir sind erwachsene Menschen und doch, es nagt… Sonst müsste man sich auch nicht so sehr darüber aufregen, es wäre einem schlicht egal.

Ich werde öfter nach meiner Meinung zu den Stars dieser Szene gefragt und kann dazu wenig sagen. Ich kenne sie nicht, laufe wohl zu viel im Wald herum oder bin hinter´m Mond unterwegs – hey, ich bin Hexe! Aber es gibt viele, die damit kämpfen und vielleicht kann ich ein paar hilfreiche Gedanken beisteuern.

Was also tun? Realismus hilft.

Da habe ich als Kartenlegerin vermutlich einen gewissen Vorsprung. Ich sehe die Leute ungeschminkt. Bei mir kommen die ehrlichen Fragen auf den Tisch. Dadurch habe ich ein vielschichtiges Bild von Menschen. Der erste Eindruck ist schön und gut, aber dahinter liegt ein Universum…

Ich habe einige kennengelernt, die alles haben. Also wirklich alles und nicht irgendwie, sondern perfekt. Sind sie glücklich? Nicht unbedingt. Sie sind deshalb auch nicht automatisch unglücklich. Das Leben kommt halt trotzdem, wie es kommt.

Umgekehrt gibt es Leute, die nicht viel haben, aber sie strahlen schon, wenn sie den Raum betreten und man fühlt sich in ihrer Nähe sofort wohl. Sie sind glücklich und das sieht man. Es ist egal, welche Kleidergröße sie tragen oder wie jugendlich sie sind. Man sieht und merkt sie selbst. Wenn man sie sieht, sieht man ihr Äußeres eigentlich kaum, da strahlt alles von innen.

Es gibt keine Regeln. Es gibt keine Formel und kein Erfolgs-Programm. Glück ist nicht so simpel gestrickt. Es schließt niemanden aus, nur weil irgendwelche Voraussetzungen nicht gegeben wären. Und es schließt niemanden automatisch ein, weil sie oder er alles „richtig gemacht hat“.

Vielleicht ist das ein wichtiger Punkt: Viele Selbstoptimierungs-Modelle, die Glück versprechen, sind ausschließend. Du kannst nach ihrer Philosophie glücklich werden, aber erst, wenn du… (hier einfach die aktuellen Trends einsetzen; falls dir spontan nichts einfällt, sind abnehmen und Faltenbekämpfung verlässliche Dauerbrenner).

Aber Glück ist inklusiv, es schließt ein. Das ist einfach seine Natur. Glücklich ist man da, wo man Ja zum Leben sagen kann.

Muss man übrigens nicht, auch das sei hier erwähnt. Wir sind nicht verpflichtet glücklich zu sein und viele gute Dinge entstehen zum Beispiel daraus, dass sich jemand ehrlich ärgert und sagt: Das machen wir jetzt anders.

Gefühle sind gleichberechtigt. Ehrlich traurig zu sein, wütend, ängstlich, interessiert, erfreut. Ehrlich diffus, irgendwie neben der Spur, nicht in der Mitte. Wir sind Menschen, wir haben viele Facetten.

… und das ist kein Grund, gleich wieder in einen Hype zu verfallen (Wahnsinn! Feiere dein Selbst! Du kannst auch traurig sein!). Aber wer diesen Artikel bis hierher gelesen hat, dem muss ich das sicher nicht erklären. 😉